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Mund-Nasen-Bedeckung als „New Normal“

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Aus dem Alltag ist die Mund-Nasen-Bedeckung gar nicht mehr wegzudenken. Seit einigen Wochen ist in allen Bundesländern das Tragen eines Mundschutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln, Supermärkten und weiteren Geschäften des Einzelhandels Pflicht. Diese Pflicht wird zum Teil sogar durch Bußgelder für Verstöße flankiert. Ein Bild an das man sich zugegebenermaßen noch gewöhnen muss, das sich aber in absehbarer Zeit nicht verändern wird. 

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Vor diesem Hintergrund stellt sich in vielen Betrieben die Frage, ob der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern vorschreiben kann eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen oder ob er dies sogar verbieten kann. Hinzu kommen Folgefragen, etwa hinsichtlich der Kosten und etwaiger Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates.

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Schutz- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

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§ 618 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) verpflichtet Arbeitgeber im Rahmen ihrer Schutz- und Fürsorgepflicht dazu, ihre Arbeitnehmer vor möglichen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) konkretisiert die Schutz- und Fürsorgepflicht in §§ 3 ff. ArbSchG, wonach der Arbeitgeber Gefährdungsbeurteilungen durchführen muss, um Risiken und Gefahren am Arbeitsplatz zu ermitteln und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. 

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Neben den typischen Gefahren, die vom Arbeitsplatz ausgehen, erstreckt sich die Verpflichtung auch darauf, die Arbeitnehmer vor Infektionsrisiken zu schützen. Dem können unternehmerische Bedenken entgegenstehen, z.B. die Wahrung eines bestimmen Erscheinungsbildes seiner Belegschaft. Daher muss der Arbeitgeber regelmäßig abwägen. Im Rahmen dieser Abwägung hat der das Schutzinteresse seiner Arbeitnehmer und die potentiellen Gefahren für ebendiese zu berücksichtigen.

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Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und der hohen Ansteckungsgefahr mit der Infektionskrankheit COVID-19 („Corona“) hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die sog. SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregeln beschlossen, die den Arbeitgebern zur Orientierung dienen sollen. Auch wenn sie für Arbeitgeber nicht verbindlich sind, dürften die Arbeitsschutzregeln bei der Abwägung eine maßgebliche Rolle spielen, da sie den Maßstab für die Schutzmaßnahmen setzen, die sicherlich auch im Rahmen einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung herangezogen werden dürften. Der zuletzt im August aktualisierte Arbeitsschutzstandard enthält u.a. Regelungen zum Sicherheitsabstand und Mund-Nasen-Schutz bei unvermeidlichem direkten Kontakt mit anderen Personen (z.B. Kunden, Dienstleister). Nähere Informationen zu den Arbeitsschutzregeln finden Sie in meinem Beitrag „Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregeln des BMAS: Hilfestellung für Arbeitgeber zur Reduzierung der Infektionsgefahr“.

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Was lässt sich daraus für die betriebliche Praxis ableiten? 

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Können Arbeitgeber einseitig das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung anordnen?

 

Im Rahme der Schutz- und Fürsorgepflicht kann und sollte der Arbeitgeber in der aktuellen Situation zumindest dort, wo direkter Kontakt zu Kunden, Dienstleistern oder auch Kollegen besteht und kein anderweitiger Schutz möglich ist, anordnen, das am Arbeitsplatz eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist. Diese Anordnung unterfällt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. § 106 GewO (Gewerbeordnung) erlaubt es dem Arbeitgeber, die im Arbeitsvertrag rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers einseitig näher zu bestimmen (u.a. BAG v. 19.04.2007 – 2 AZR 78/06; BAG v. 07.12.2000 – 6 AZR 544/99). Dabei unterliegt das Direktionsrecht Grenzen, die sich aus dem Inhalt der vertraglichen Regelungen, Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarung ergeben können. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber das Direktionsrecht nur nach billigem Ermessen ausüben. Bei der konkreten Ausübung sind etwaige gegenläufige Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers abzuwägen. 

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In der aktuellen Situation ist mit Blick auf die hohe Ansteckungsgefahr davon auszugehen, dass die Anweisung des Arbeitgebers, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen billigem Ermessen entspricht. Denn der Arbeitgeber kommt damit seiner Schutz- und Fürsorgepflicht nach. Er berücksichtigt dabei die vom BMAS erlassenen Arbeitsschutzregeln, um so auch seinen Betrieb mit gesunden Mitarbeitern aufrecht erhalten zu können. Ein etwaiges Interesse von Arbeitnehmern, lieber keine Maske zu tragen, muss hier zurücktreten.

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Die ersten veröffentlichten Entscheidungen bestätigen diese Linie, wonach die Anordnung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, vom Direktionsrecht umfasst sei. Die Schutz- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers rechtfertige eine derartige Anordnung auch zum Schutz der weiteren Beschäftigten und etwaiger Kunden/Besucher (vgl. LAG Köln v. 12.04.2021 - 2 SaGa 1/21; ArbG Cottbus v. 17.06.2021 - 11 Ca 10390/20 - nicht rechtskräftig).

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Arbeitsrechtliche Sanktionen möglich

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Arbeitnehmer haben rechtmäßige Weisungen ihres Arbeitgebers zu befolgen. Sofern sich Arbeitnehmer – trotz entsprechender Aufforderung durch den Arbeitgeber – weigern, eine Maske zu tragen, drohen arbeitsrechtliche Sanktionen, insbesondere Abmahnung oder (außerordentliche) Kündigung. Sofern Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert sind, eine Maske zu tragen, sollten sie dies ihrem Arbeitgeber frühzeitig unter Vorlage entsprechender ärztlicher Bescheinigungen mitteilen. So können Konflikte vermieden und anhand des Einzelfalls geprüft werden, ob die gesundheitliche Situation des betroffenen Mitarbeiters eine Trageerleichterung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände rechtfertigt. 

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Den Betriebsrat nicht vergessen

 

Achtung: Sofern ein Betriebsrat besteht, kommen Mitbestimmungsrechte im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) in Betracht. Wird dieser nicht berücksichtigt, können Einigungsstelle und einstweilige Verfügung drohen.  

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Können Arbeitgeber verbieten einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen? 

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Die hohe Ansteckungsgefahr und Unklarheiten über Krankheitsverläufe, Risikogruppen etc. sorgen bei großen Teilen der Bevölkerung für Verunsicherung. Dies führt vielerorts zu dem Wunsch der Arbeitnehmer eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, auch wenn der Arbeitgeber keine entsprechende Anweisung gibt oder die Arbeitsumgebung derartige Schutzmaßnahmen ggf. nicht erfordert.

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In diesem Zusammenhang hatte der Fall mehrerer Mitarbeiter von Duty Free Shops an den Flughäfen Berlin Tegel und Berlin Schönefeld im März Aufsehen erregt. Nachdem Mitarbeiter einiger Duty Free Shops mit Handschuhen und Mundschutz zum Dienst erschienen waren, hatte der Arbeitgeber den Mitarbeitern verboten, während ihrer Arbeitszeit Handschuhe und Mundschutz tragen, um Verunsicherung unter den Kunden zu verhindern. Er hatte das Verbot ohne vorherige Abstimmung mit dem Betriebsrat ausgesprochen. Dieser war sodann im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen das Verbot des Arbeitgebers vorgegangen. Noch bevor es zu einer Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Berlin (Az.: 55 BVGa 2341/20) kam, einigten sich die Parteien darauf, dass die Mitarbeiter auch während ihrer Arbeitszeit eine Mund-Nasen-Bedeckung und Handschuhe tragen können. 

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Unter Berücksichtigung der Ausbreitung und Entwicklung der Situation sicher die richtige Entscheidung. Denn auch das Verbot eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen stellt eine Weisung des Arbeitgebers dar, die billigem Ermessen entsprechen muss. 

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In diesem Fall dürfte die Abwägung jedoch zulasten des Arbeitgebers gehen. Denn das Arbeitnehmerinteresse sich vor der hohen Ansteckungsgefahr zu schützen wird hier wohl dem Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung eines bestimmten Erscheinungsbildes gegenüber Kunden überwiegen. Dies dürfte insbesondere in Bereichen gelten, in denen Mitarbeiter wechselnd unmittelbar im physischen Kontakt mit Kunden, Dienstleistern oder Kollegen stehen und keinen ausreichenden Sicherheitsabstand halten können. 

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Rechtswidrige Weisungen müssen nicht befolgt werden – Risiko bei Verweigerung bleibt dennoch

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Die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sah vor, dass Arbeitnehmer auch rechtswidrigen Weisungen Folge leisten mussten und der Arbeitgeber andernfalls abmahnen/kündigen kann. Diese Rechtsprechung hat das BAG mit Urteil vom 18.10.2017 (Az.: 10 AZR 330/16) aufgehoben. Demnach müssen Arbeitnehmer unbillige Weisungen nicht mehr befolgen. 

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Sollte ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern in der derzeitigen Situation verbieten eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und Arbeitnehmer sich weigern diesem Verbot nachzukommen, so wird eine dagegen gerichtete Abmahnung oder Kündigung wohl unwirksam sein.

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Da der Teufel wie so häufig im Detail liegt, sollten der Einzelfall genau anhand der widerstreitenden Interessen geprüft werden. Denn das Risiko einer falschen Auslegung trägt weiterhin der Arbeitnehmer. Stellt sich im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung heraus, dass die arbeitgeberseitige Weisung doch wirksam war und liegen sonst keine Unwirksamkeitsgründe vor, haben Abmahnung und Kündigung bestand. 

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Muss der Arbeitgeber Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung stellen?

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Ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung zu stellen, hängt vom Einzelfall ab. Eine derartige Verpflichtung kann dann bestehen, wenn ein Arbeitsplatz besonders gefährdet ist und die Gefährdung nicht durch andere Schutzmaßnahmen verhindert werden kann, weil z.B. besonders enger Kontakt zu Kunden besteht.

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Entscheidet sich der Arbeitgeber – im Rahmen des Direktionsrechts – seine Arbeitnehmer unabhängig von einer besonderen Gefährdung anzuweisen eine Schutzmaske zu tragen, so hat er auch in diesem Fall entsprechende Masken bereitzustellen.

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Keine Masken muss der Arbeitgeber für den Arbeitsweg bereitstellen. Auf dem Arbeitsweg, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln, ist der Arbeitnehmer selbst für die Einhaltung etwaiger Vorgaben der Verkehrsbetriebe verantwortlich. Daher kann der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auch nicht für die Erstattung von Verwarnungsgeldern oder Bußgeldern heranziehen, die gegen ihn verhängt worden sind, weil er auf dem Arbeitsweg – entgegen der Vorgaben der Verkehrsbetriebe oder öffentlich-rechtlicher Vorgaben – keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen hat. 

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